Silent Night?

Eine „Silent Night“ ist eine Milonga, bei der den ganzen Abend über nicht gesprochen wird. Ansonsten unterscheidet sich der Abend äußerlich kaum von einer „normalen“ Milonga: es wird Tango getanzt, es läuft Musik, die bekannten Gesichter sind da... nur ist da eben dieser scheinbar so kleine Unterschied:

...die ungewohnte Stille zwischen den Musikstücken
...der volle Raum, in dem keine Worte klingen
...die besondere Achtsamkeit füreinander
...die intensivere Begegnung der Tänzer, gerade auch in den Pausen
...die energetische Präsenz jedes Einzelnen, die spürbar wird.

Eine „Silent Night“ ist daher ein besonderer Abend, der mit dem Gebot der Stille einen vollkommen anderen Raum öffnet. Wir besinnen uns auf die reine Begegnung beim Tanzen, den unmittelbaren Austausch. Kein ablenkendes Gespräch, kein oberflächliches Gerede nur um die Pause zu füllen, sondern es darf da sein, was ist - gerade und auch die Stille und das scheinbare Nichts, aus dem doch so viel entsteht...

Das Tanzen im wortlosen Raum schärft unsere Sinne und eröffnet Begegnung auf anderen Ebenen. Die Selbstwahrnehmung verändert sich, Nebensächliches fällt weg und die eigene Essenz kann spürbar werden. Augenkontakt, Umarmung, wortloses Gespräch übernehmen die Kommunikation, die Musik spielt mit hinein – es ist möglich, Tango pur ohne sozialen „Verhaltenszucker“ zu erleben.

Auch musikalisch laufen neben den klassischen Tangos außergewöhnliche, ruhigere Stücke, die im lauten Gesprächstrubel untergehen würde. Wir hören also auf die feinen Nuancen - in der Musik wie in der Kommunikation...

Silent_Night_flyer

Nicht jedem fällt es leicht, den ganzen Abend nicht zu reden. Die Stille zwischen zwei Menschen und im ganzen Raum kann sehr schwer wiegen und einen enorm fordern. Manche genießen es außerordentlich und empfinden diesen wortlosen Zustand als tief entspannend. Andere stehen dauernd unter dem vermeintlichen Druck, diese Situation gestalten, kontrollieren, überbrücken zu müssen, was sich dann in großer innerer Anspannung und unangenehmen Gefühlen wie Unsicherheit ausdrückt. Um hier eine kleine Unterstützung zu geben, liegen bei der „Silent Night“ Blöcke und Stifte aus, so dass doch noch eine Möglichkeit der sprachlichen Kommunikation besteht. Da das Schreiben aber länger dauert als Reden, kommt es auch auf diese Weise zu Verzögerung und einer veränderten Wahrnehmung des Gegenübers. Überflüssiges fällt ganz von alleine weg...

Wem die Stille zu viel wird, kann natürlich auch den Raum verlassen und nach draußen gehen. Wird der Abend aber von lauter Gesprächen draußen mit Anderen unterbrochen, kann er sich natürlich in seiner eigentlichen Wirkung nicht so stark entwickeln. Ich empfehle daher, sich wirklich bewusst zu entscheiden, ob man eine „Silent Night“ wagen möchte oder nicht.

Liane

 

„Man muß die Stille tanzen. Und die Violinen. Auch wenn keine da sind.“

Gerardo Portalea